Barrierefreier Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen

Seit dem 1. April 2024 gelten in Liechtenstein die Anpassungen des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGlG) betreffend den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Mit diesen Anpassungen im BGlG werden die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/2102 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen in Liechtenstein umgesetzt. Am 5. Februar 2021 hatte der Gemeinsame EWR-Ausschuss beschlossen, die Richtlinie (EU) 2016/2102 in das EWR-Abkommen zu übernehmen (Beschluss Nr. 59/2021 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses). Schliesslich hat der Landtag in seiner Sitzung vom 11. März 2022 dem Beschluss Nr. 59/2021 seine Zustimmung erteilt.

In der Europäischen Union war die Richtlinie (EU) 2016/2102 am 22. Dezember 2016 in Kraft getreten und von den EU-Mitgliedstaaten bis zum 23. September 2018 in das nationale Recht umzusetzen. Auf Webinhalte, die vor dem 23. September 2018 veröffentlicht worden sind («alte» Inhalte), sind in den EU-Mitgliedstaaten die nationalen Bestimmungen seit dem 23. September 2020 anzuwenden; auf jene Webinhalte, die nach dem 23. September 2018 veröffentlicht werden («neue» Inhalte), sind in den EU-Mitgliedstaaten die nationalen Vorschriften bereits seit dem 23. September 2019 anzuwenden. Auf mobile Anwendungen sind die nationalen Vorschriften in den EU-Mitgliedstaaten seit dem 23. Juni 2021 anzuwenden.

Öffentliche Stellen

Gemäss Art. 3 Abs. 1 Bst. k BGlG (ab April 2024) handelt es sich bei öffentlichen Stellen um «das Gemeinwesen und Einrichtungen von allgemeinem Interesse». Das Gemeinwesen wiederum wird in Bst. e als Land, Gemeinden, selbständige oder unselbständige Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie öffentlich-rechtliche Körperschaften definiert. Die Einrichtungen von allgemeinem Interesse werden in Bst. l bestimmt.

e) «Gemeinwesen»: Land, Gemeinden, selbständige oder unselbständige Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie öffentlich-rechtliche Körperschaften;

k) «öffentliche Stellen»: das Gemeinwesen und Einrichtungen von allgemeinem Interesse;

l) «Einrichtungen von allgemeinem Interesse»: Einrichtungen, die:

  1.  zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen;

  2.  Rechtspersönlichkeit besitzen; und

  3.  überwiegend vom Gemeinwesen oder anderen Einrichtungen im Sinne dieses Buchstabens finanziert werden oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch diese unterliegen oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Gemeinwesen oder anderen Einrichtungen im Sinne dieses Buchstabens ernannt worden sind;

Aufgaben der öffentlichen Stellen

Die öffentlichen Stellen erhalten gemäss BGlG eine Reihe von Verpflichtungen: Sie müssen dafür sorgen, dass ihre Websites und mobilen Anwendungen die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllen (Art. 21b). Weiters ist eine Barrierefreiheitserklärung zu veröffentlichen, die von der Startseite der Website erreichbar ist (Art. 21c Abs. 1 und 2). Die Grundanforderungen an eine Erklärung zur Barrierefreiheit werden im Anhang des Durchführungsbeschlusses (EU) der Kommission vom 11. Oktober 2018 zur Festlegung einer Mustererklärung zur Barrierefreiheit gemäss der Richtlinie (EU) 2016/2102 festgehalten. Hier finden Sie ein Muster für eine Erklärung zur Barrierefreiheit

Die öffentlichen Stellen haben Rückmeldungen und Mitteilungen allfälliger Mängel zu prüfen und zu beantworten (Feedbackmechanismus) und, wenn erforderlich, Massnahmen zur Mängelbeseitigung zu ergreifen (Art. 21c). 

Gültige Norm

Als Massstab für die Barrierefreiheit gilt die harmonisierte Norm EN 301 349 v3.2.1 (2021-03). Im Webinhalte betreffenden Kapitel 9 stützt sich die die harmonisierte Norm die Erfolgskriterien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 auf Konformitätslevel AA.

Öffentliche Stellen haben jede Mitteilung von Nutzern ihrer Website oder mobilen Anwendung zu Mängeln bei der Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen zu prüfen, erforderlichenfalls Massnahmen zur Beseitigung dieser Mängel zu ergreifen und dem jeweiligen Nutzer das Ergebnis dieser Prüfung sowie die getroffenen oder beabsichtigten Massnahmen binnen zwei Monaten bekannt zu geben. Anfragen zu Inhalten von Websites und mobilen Anwendungen, die nach Art. 21a Abs. 3 von der Verpflichtung zur Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen und nicht barrierefrei zugänglich sind, sind binnen zwei Monaten zu beantworten.

Übergangsfristen

Das liechtensteinische Behindertengleichstellungsgesetz definiert folgende Übergangsfristen:

  • Für Websites, die ab dem Inkrafttreten des Gesetzes veröffentlicht werden («neue» Inhalte), beträgt die Übergangsfrist ein Jahr. Inkrafttreten am 1. April 2025.
  • Für Websites, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes veröffentlicht wurden («alte» Inhalte), beträgt die Übergangsfrist zwei Jahre. Inkrafttreten am 1. April 2026.

Somit müssen Websites, die ab dem 1. April 2024 veröffentlicht werden, die im Behindertengleichstellungsgesetz umgesetzten Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/2102 ab dem 1. April 2025 erfüllen. Websites, die vor dem 1. April 2024 veröffentlicht wurden, haben diese Vorgaben bis zum 1. April 2026 zu erfüllen.

Mobile Anwendungen haben die im Behindertengleichstellungsgesetz umgesetzten Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/2102 stets ab dem 1. Oktober 2026 zu erfüllen, gleichgültig ob sie vor dem 1. April 2024 oder danach veröffentlicht werden.

Durchsetzungsverfahren

Auf Grundlage von Art. 21c Abs. 3 BGlG können Sie den Verantwortlichen der Websites und mobilen Anwendungen Mängel bei der Einhaltung der Anforderungen an die Barrierefreiheit mitteilen oder Anfragen zu Inhalten von Websites und mobilen Anwendungen stellen, die nach Art. 21a Abs. 3 von der Verpflichtung zur Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen und nicht barrierefrei zugänglich sind. Bleibt eine Anfrage über die Kontaktmöglichkeit innerhalb von zwei Monaten ganz oder teilweise unbeantwortet, können Sie sich an das Amt für Soziale Dienste (Beschwerdestelle gemäss Art. 21e BGlG) wenden. Dieses prüft die Beschwerde und spricht, wenn sie berechtigt ist, Handlungsempfehlungen aus und schlägt Massnahmen vor, die der Beseitigung der vorliegenden Mängel dienen. Die betroffenen öffentlichen Stellen haben bei der Prüfung der Beschwerde mitzuwirken. Für die Kontaktaufnahme  mit dem Amt für Soziale Dienste steht derzeit die E-Mail-Adresse [email protected] zur Verfügung.

Überwachungsmethodik

Gemäss Art. 21d BGlG muss das Amt für Soziale Dienste wiederkehrend der Vereinbarkeit der Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen mit den Barrierefreiheitsanforderungen nach Art. 21b BGlG überwachen und jedes dritte Jahr einen Bericht erstellen. Detaillierter werden die vereinheitlichten Vorgaben für die Überwachung im Durchführungsbeschluss (EU) 2018/1524 der Kommission vom 11. Oktober 2018 zur Festlegung einer Überwachungsmethodik und der Modalitäten für die Berichterstattung der Mitgliedstaaten gemäss der Richtlinie (EU) 2016/2102 erläutert. Demnach bestehen zwei verschiedene Verfahren, die im Anhang I präzisiert werden:

  1.  Die eingehende Überwachungsmethode überprüft die Vereinbarkeit der Websites und mobilen Anwendungen mit den Barrierefreiheitsanforderungen.
  2.  Die vereinfachte Überwachungsmethode dient der Feststellung der Nichtvereinbarkeit der Websites und mobilen Anwendungen.

Des Weiteren wird im Durchführungsbeschluss die Auswahl der Stichprobe der zu überprüfenden Websites und mobilen Anwendungen festgelegt. Die Grösse der Stichprobe hängt im Fall Liechtenstein eher von der Bevölkerungsgrösse als von der Anzahl der Websites und mobilen Anwendungen ab.

Berichterstattung

Die EWR-Mitgliedstaaten erstatten nicht wie die EU-Staaten Bericht an die Kommission, sondern an die EFTA-Überwachungsbehörde (ESA). Im Durchführungsbeschluss (EU) 2018/1524 sind die entsprechenden Vorgaben in den Art. 8 bis 10 sowie im Anhang II zu finden. Wie oben bereits ausgeführt, erfolgt die Berichterstattung jedes dritte Jahr.

Vorgegebene Zeiträume

Der Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 353/2021 zur Übernahme des Durchführungsbeschlusses (EU) 2018/1524 präzisiert die für Liechtenstein geltenden Fristen und Zeiträume (vgl. hierzu die Übergangsfristen weiter oben). Der erste Überwachungszeitraum für Websites wird zwischen dem 1. Januar 2027 und dem 22. Dezember 2028 dauern. Für mobile Anwendungen wird der Zeitraum am 23. Juni 2028 beginnen und am 22. Dezember 2028 enden. Daraus folgt, dass die erste Berichterstattung ab dem 23. Dezember 2028 erfolgen wird. Der Durchführungsbeschluss (EU) 2018/1524 bestimmt zusätzlich in Art. 3, dass nach dem ersten Überwachungszeitraum die Überwachung jährlich erfolgt und für Websites und mobile Anwendungen jeweils vom 1. Januar bis zum 22. Dezember laufen wird.